Das Gleichnis vom Sämann

Predigt über Lukas 8,4-8.

Gehalten am 12. Februar 2023 in der Kirche San Nazzaro von Pfarrer Konrad Bruderer

4Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus jeder Stadt zu ihm eilten, sprach er durch ein Gleichnis: 5Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges an den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. 6Und anderes fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. 7Und anderes fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. 8Und anderes fiel auf das gute Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Da er das sagte, rief er:  Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Als ich  zur Predigtvorbereitung diese bekannte Geschichte wieder einmal las, ist mir so recht aufgefallen, dass es sich hier um eine Massenveranstaltung handelt:

Viel Volk, Leute von überall her, strömen zusammen, wie bei einem Entscheidungsspiel der Fussballmeisterschaft, nicht wahr – Extrazüge aus der ganzen Schweiz; Busse blockieren die Autobahnen; das Gebiet um das Stadion ist weiträumig zu umfahren; sämtliche Polizisten müssen ihre Freitage verschieben; der Umsatz an Bier und Bratwürsten schlägt alle Rekorde…

Massenveranstaltung also.

Wenn man dann einmal auf diese Spur gebracht ist, entdeckt man in diesem Gleichnis vom Sämann noch weitere Massen:

Da ist der Vorgang des Säens: massenhaft Samen werden da übers Land gestreut, ob von Hand wie auf dem bekannten Bild von Vincent Van Gogh oder maschinell mit dem Traktor…

Massenhaft Samen, die gar nicht alle aufgehen können; die fallen auch wahllos links und rechts vom Acker auf den Weg und auf die Steinbrocken und in das Gestrüpp – oder werden von den Vögeln aufgepickt, die dem Bauern schwarmweise (also wieder in Massen!) folgen.

Und das Schlussbild: Jener Teil des Samens, der schliesslich aus dieser ganzen Masse aufgeht, bringt selbst wieder massenhaft Ertrag, «hundertfach» sagt Jesus.

Was nach einer rechten Ausbeute tönt: Aus Eins mach Hundert!

Ich finde es bemerkenswert, dass Jesus angesichts der Massen, die ihn bestürmen, gerade dieses Gleichnis erzählt:

Offenbar geht es hier um etwas, das die Massen – man könnte auch sagen Alle – betrifft.

Wie aber kann eine Geschichte aus dem Agrarsektor (auf welchem in modernen Staaten noch 3 bis 4 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten, bei abnehmender Tendenz…) Alle angehen?

Ja gut: also damals, zu biblischen Zeiten waren natürlich höchstens 3 bis 4 Prozent der Bevölkerung nicht in der Landwirtschaft tätig – also verstanden praktisch Alle unmittelbar, worum es hier geht…

Könnte man argumentieren. Läge damit aber falsch, wie ein Blick auf die nachfolgenden Verse zeigt. Da lesen wir grad anschliessend:

Es fragten ihn aber seine Jüngerpraktisch alles Leute aus dem Agrarsektor: Kleinbauern, Schafhirten, Fischer… was dies Gleichnis bedeute.

Gleichnisse brauchen Deutungen, sie sind daraufhin angelegt. Eben, weil sie ja nicht die Sache direkt ausdrücken, sondern vergleichend auf sie hin deuten:

Gleichnisse bringen in zeit- und umweltbedingten Bildern Wahrheiten, die jederzeit und überall gelten, zur Sprache.

Das ist ein guter Ausdruck, «zur Sprache bringen» – also in Worte fassen, die wir einander kommunizieren können! Das Unaussprechliche, Göttliche auf menschliche Art, eben in Form der sprachlichen Mitteilung, ausdrücken.

Darum geht es in den Gleichnissen. Die deswegen gedeutet werden dürfen, ja müssen.

Gute Bibelkennerinnen und -kenner unter uns wissen, dass im Evangelium selbst bereits eine Deutung des Gleichnisses vorliegt; im gleichen Kapitel etwas weiter hinten. Da lesen wir:

Der Same ist das Wort Gottes.

Wenn der Samen Gottes Wort ist, dann dürfen wir den Sämann auf Gott selbst deuten. Und uns grad ein bisschen darüber wundern – oder besser noch freuen – dass wir einen dermassen verschwenderisch grosszügigen Gott haben:

Wie der Sämann den Samen, so streut Er Sein Wort aus – in Massen und allerorten und mit vollen Händen – Alle sollen es hören, Alle sollen daran teilhaben, Allen gilt es:

Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.

Wir haben dieses Wort aus dem 1. Timotheusbrief zu Beginn unseres Gottesdienstes gehört.

Und nun lässt Gott also zu diesem Ziel Sein Wort massenhaft ausstreuen, in jeder Kirche und Kapelle der Welt; und in den Häusern (sicher gibt es in unserem Land fast keinen Haushalt ohne Bibel) und darüber hinaus eben auch an Orten und auf Arten, die man gar nicht vermuten würde, die wir gar nicht kennen.

Und auch nicht kennen müssen: Hauptsache das Wort geht seinen Lauf! Wir können uns da an Martin Luther halten, der einmal gesagt, er habe gar nicht viel beigetragen zur Verbreitung des göttlichen Wortes; das habe eigentlich vor allem selbst gewirkt, während er mit seinen Freunden «Wittenbergisch Bier» getrunken habe.

Der Samen fällt auf unterschiedliche Böden. Die Menschen sind nicht alle gleich, darum reagieren sie auch nicht gleich.

Darum spricht das Gleichnis jetzt auch von verschiedenen Böden.

Vier sind es an der Zahl. Was natürlich kein Zufall ist:

Die Zahl Vier steht für die Jahreszeiten und die Himmelsrichtungen; also für den ganzen Raum und alle Zeit, für die Vollständigkeit der Schöpfung. «Vier» bedeutet, dass etwas überall und immer gültig ist und darum Alle angeht. Passend bei einem Gleichnis, das Alle ansprechen will!

Wir schauen uns zuerst den letzten Fall an, den vierten:

Das wäre eigentlich der Normalfall, dass der Samen Frucht bringt. Dafür wird er ja gesät! Dass das Wort Gottes von den Menschen gehört und aufgenommen und gelebt wird, das wäre der Normalfall. Im Evangelium heisst das so:

Auf guten Boden ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort mit gutem und aufrichtigem Herzen hören, daran festhalten und durch ihre Ausdauer Frucht bringen.

Alles klar!

Gottes Wort hören, sich an ihm festhalten, dabei bleiben durch Dick und Dünn, in guten und in bösen Tagen – das bringt‘s!

Sagt die Bibel.

Eigentlich bräuchte es gar nichts anderes als das:

Dass Gottes Wort bei allen Menschen auf guten Boden trifft.

Dass es alle Menschen verändert zum Guten.

Dass diese Welt darum nicht nur im Lied von Michael Jackson, sondern in Wirklichkeit «A better place», ein besserer Ort, werden würde alle Tage mehr.

Das wahre Leben: Ein Leben in Gemeinschaft mit Gott und miteinander, ein Leben in Hoffnung und gutem Mut – ein erfülltes Leben!

Nun gibt es aber – wer wüsste das nicht! – in der real existierenden Welt auch andere als fruchtbare Böden:

Das Gleichnis nennt den Weg. Kompakte, festgetrampelte Erde, wo ein Samen kaum in Ruhe aufgehen und wachsen kann; wo das kleine Pflänzchen schon bald wieder nieder getrampelt und überfahren würde.

Nach dem Weg kommt der Fels. Der für den Samen zu hart und hat zu wenig Humus, wo der Samen Wurzeln schlagen könnte.

Als Drittes werden die Dornen genannt, wo fehlende Luft und fehlendes Licht den Samen am Gedeihen hindern.

Ohne Gleichnis gesagt: Es gibt Menschen, die machen es dem Wort Gottes schwer,

Weil sie schon dermassen festgefahren sind in ihren Ansichten, dass da einfach nichts mehr Platz hat. Die gehen ihren einmal eingeschlagenen Weg weiter, ohne nach links und nach rechts zu blicken – stur. Das ist schade, denn wer immer nur im sich selber kreist, kommt gar nicht weiter! Tritt an Ort und vergisst dabei, was de Dichter Francis Picabia so treffend formuliert hat: «Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann».

Es gibt Menschen, die machen es dem Wort Gottes schwer,

Weil sie zu oberflächlich sind; schnell begeistert, aber ohne Ausdauer. Heute Bibel, morgen schon wieder etwas Neues; das Angebot im Religiös-Weltanschaulich-Esoterischen hat in unseren Tagen ja auch schon Supermarkt-Charakter und boomt dementsprechend. Steiniger Boden für das Evangelium!

Es gibt Menschen, die machen es dem Wort Gottes schwer:

Die Ersten sind immer nur mit sich selbst beschäftigt.

Die Zweiten Menschen flattern herum in ihrem Glaubensleben.

Und die Dritten (die Dornen im Gleichnis) sind Leute, denen ihr Leben ist überwuchert von so vielen Sachen; die sind schon so beschäftigt Tag und Nacht, dass sie für Religiöses keine Zeit und keine Energie mehr finden. Es fehlt an Licht, es fehlt an Luft – das Wort erstickt.

WegFelsDornen: Noch ist nicht aller Boden gut! Ohne Gleichnis gesagt: Noch ist auf dieser Welt nicht allein Gott am Werk, sondern auch allerhand negative (zu Deutsch: «verneinende») Kräfte.

Wo Gott «Ja» sagt – sagen sie «Nein».

Wo Gott will, dass alle Menschen gerettet werden – wollen diese Stimmen uns Angst und Misstrauen einflössen.

Wo Gott für uns ist – sind sie gegen uns!

Was können wir machen?

Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Vorschlag: Fassen Sie sich doch einmal an den Kopf links und rechts!

Da sind sie doch – die Ohren zum Hören!

Die «Hardware» ist also da.

Jetzt geht es darum, die richtige «Software» herunterzuladen («downloaden» auf Neudeutsch) und zu installieren.

Jetzt geht es darum, dass wir aus dieser ganzen Masse von Stimmen diejenige heraushören, die es echt bringt:

Auf guten Boden ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort mit gutem und aufrichtigem Herzen hören, daran festhalten und durch ihre Ausdauer Frucht bringen.

Das Wort:

Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.

Wo wir auf Gott hören, geht etwas auf!

Darum sagen wir dazu:

Ja, so soll es sein – Amen.