Habt keine Angst. Ich bin es. Fürchtet euch nicht!

Die Geschichte findet sich in Markus 6,45-52. Sie schliesst unmittelbar an den Bericht von der Speisung der 5’000 am See Genezareth an und geht so:

Sofort danach Jesus drängte seine Jünger, in das Boot zu steigen. Sie sollten an die andere Seite des Sees nach Betsaida vorausfahren. Er selbst wollte zuerst noch die Volksmenge verabschieden. Nachdem er sich von der Menge getrennt hatte, stieg er auf einen Berg, um zu beten. Es war schon Abend geworden. Das Boot war mitten auf dem See,

und Jesus war allein an Land. Da sah er, wie sich die Jünger beim Rudern abquälten, denn der Wind blies ihnen direkt entgegen. Um die vierte Nachtwache kam er zu ihnen. Er lief über den See und wollte an ihnen vorübergehen. Als die Jünger ihn über den See laufen sahen, hielten sie ihn für ein Gespenst. Da schrien sie laut auf. Denn sie sahen ihn alle und erschraken. Aber sofort sagte Jesus zu ihnen: »Habt keine Angst. Ich bin es. Fürchtet euch nicht!« Er stieg zu ihnen ins Boot, und der Wind legte sich. Da waren die Jünger völlig fassungslos. Denn trotz des Wunders mit den Broten hatten sie nichts verstanden.

Ihre Herzen waren wie verschlossen.

Liebe Gemeinde!

Sicher kennen auch Sie das Gefühl:

Das Gefühl, man gebe sich doch alle erdenkliche Mühe, recht zu leben; als Christenmensch, nach den Grundsätzen der Bibel!

  • Niemand etwas zuleide tun aus Absicht
  • Mit Allen freundlich sein
  • Den Frieden mit jedermann und jederfrau suchen
  • Sich selbst – das Ego! – nach Kräften überwinden
  • Seine Zunge – dieses schnelle Organ! – im Zaum halten…

Sicher kennen auch Sie das Gefühl:

  • Das Gefühl, man gebe sich doch wirklich Mühe
  • Das Gefühl, man habe auch immer wieder recht Mühe mit dieser Art zu leben – es ist ja nicht grad die einfachste
  • Und das Gefühl, die ganze Liebesmüh’ nütze so furchtbar wenig – ungefähr gar nichts, genau genommen

Oder wird die Welt etwa besser in unseren Tagen?!

Da plagt man sich ab – rudert in dieser schwierigen Welt herum und hat doch oft genug – oft genug! – das Gefühl, man komme nicht vom Fleck!

Immer das gleiche Drehen im Kreis:

  • Du stolperst über altbekannte Probleme; die sind immer noch da, wie eh und je
  • Du eckst an altbekannten Missständen an; die sind ja unausrottbar
  • Du stösst mit altbekannten Gegnern zusammen; die ändern sich ja keinen Fingerbreit
  • Du holst dir am immer gleichen Ort deine immer gleichen Beulen

Nichts von Fortschritt weit und breit, von neuen Ufern gar nicht zu reden! Man dreht sich im Kreis herum. Müdigkeit macht sich breit – Resignation. Der Widerstand der Welt, die Trägheit der Materie, hat etwas Lähmendes.

Nehmen wir uns die Zeit, und lassen sie vor unserem inneren Auge vorbeiziehen:

  • Die Schwierigkeiten in unserem Leben
  • Und die Missstände
  • Und die Anfeindungen
  • Und die Verletzungen

… Es war schon Abend geworden…

… Das Boot war mitten auf dem See …

… Wie sich die Jünger beim Rudern abquälten, denn der Wind blies ihnen direkt entgegen. …

Ist das nicht treffend gesagt?

Wie schön müsste es sein, als Christ und als Christin zu leben – wenn nicht dieser scharfe Wind der Welt einem dauernd ins Gesicht blasen würde!

Wie könnte man sich sonnen in allem Frieden, in aller Harmonie, in Einklang mit Gott und der Welt!

Aber eben: «Diese Welt ist keine Sonntagschule», hat einmal Einer festgestellt.

Recht hat er. Leider Gottes!

So kommt eben das besagte Gefühl auf – bei den Jüngern, bei den Christen, bei uns: Der Frust über die vergebliche Liebesmüh…

… Es war schon Abend geworden…

… Das Boot war mitten auf dem See …

… Wie sich die Jünger beim Rudern abquälten

In dieser späten Weltzeit rudern wir mit unserem armseligen Kirchenschifflein gegen die herrschende Strömung an – und kommen nicht vom Fleck.

Und kommen nicht vom Fleck…

Haben Sie gemerkt:

Ich komme auch nicht vom Fleck mit dieser Predigt heute Morgen! Man kommt eben nie vom Fleck, wenn man um sich selbst herum kreist – da kann man rudern, soviel man will!

Weil man eben so – wie sich unsere Geschichte ausdrückt – nichts verstanden hat,sondern ein verschlossenes Herz behält.

Der Weg aus dieser unerfreulichen Lage – der Schritt weg von der Stagnation – verschlossenes Herz, versteinerter Geist, Drehen im Kreis:

Unsere Geschichte zeigt uns einen Weg – wie ein Wegweiser! In unserer Geschichte ist ja nicht bloss von den armen, gestressten Jüngern die Rede. Da ist doch auch von Jesus die Rede, von ihm sogar hauptsächlich:

  • Er hat doch die Jünger zuallererst ins Boot und auf das Wasser geschickt.
  • Er hat gesehen, wie sie sich abmühten beim Rudern.
  • Und er ist zu ihnen gekommen – sehr spät allerdings, um die vierte Nachtwache, erzählt Markus – wir würden sagen «im Morgengrauen».

Spät kommt er – aber er kommt! Und nicht ganz zufällig «im Morgengrauen» – das heisst ja: beim Übergang von der Nacht in den Tag, beim Kommen des neuen Lichts…

… kommt Jesus und redet mit den Jüngern. Er sagt:

»Habt keine Angst. Ich bin es. Fürchtet euch nicht!«

Und setzt sich zu ihnen ins Boot.

Und er, Jesus, ist doch auch der Grund, warum wir jetzt hier sind – im Schiff der Kirche.

Sehen Sie, als ich meine Predigt angefangen habe vorhin, da war ich wie die Jünger in der Geschichte:

Die hatten trotz des Wunders mit den Broten nichts verstanden. Ihre Herzen waren wie verschlossen.

Unmittelbar vor diesen Ereinissen hatte Jesus doch vor ihren Augen an fünftausend Leute Brot verteilt – zum Zeichen dafür, dass er den Menschen Mittel zum Leben geben kann und geben will; so lebensnotwendige Dinge wie Zuversicht, Gottvertrauen, Glaubensheiterkeit …

Aber eben: die Jünger hatten es nicht «gecheckt» – sie waren nicht zur Einsicht gekommen.

Und uns ist es vorhin zu Beginn unserer Predigt grad gleich gegangen – wie die Jünger in unserer Geschichte waren wir am Rudern, mühsam, mitten auf dem Wasser, mit dem Gegenwind im Gesicht, allein.

Unser Herz war verschlossen, unser Gefühl frustriert, unser Verstand stagniert und unser Wille resigniert.

Frustriert – stagniert – resigniert:

Fremdwörter sind das, unschöne – und fremd sollten sie den Christen bleiben!

»Habt keine Angst. Ich bin es. Fürchtet euch nicht!«

Das sind Christenwörter – sind Christusworte, die uns auf keinen Fall fremd bleiben dürfen!

  • Weil er uns doch auf dem Radar hat – auch wenn wir vor lauter Herumrudern im Leben ihn aus den Augen verlieren sollten!
  • Weil er uns doch erreicht – auch wenn wir, wie die Jünger in dieser Geschichte, vor lauter Verunsicherung schon eher mit einem Gespenst rechnen als mit dem göttlichen Beistand!
  • Weil er doch mit uns in Verbindung bleibt – auch wenn wir vor lauter Beschäftigung mit unserer Frustration – Stagnation – Resignation bald nichts Anderes mehr hören können.

Er bleibt doch mit uns in Verbindung:

Durch diese ganze Geschichte hindurch.

Durch dieses ganze Evangelium hindurch.

Durch unsere ganze Lebensgeschichte hindurch.

Ist er in unserer Nähe.

Äusserlich – unseren Augen – unsichtbar.

Aber innerlich – unserem Herz und unserer Seele – spürbar.

Er ist in unserer Nähe.

Immer. Auch beim Rudern.

Wie habe ich gesagt vorhin beim Rudern: «Nehmen wir uns die Zeit, und lassen sie vor unserem inneren Auge vorbeiziehen: Die Schwierigkeiten in unserem Leben und die Missstände und die Anfeindungen und die Verletzungen.»

Vorbeiziehen – nicht stehen lassen! Dazu will diese Geschichte uns ermutigen: Uns Gegenworte, Gegengedanken ins Ohr und in den Kopf und in das Herz hinein geben.

Jetzt wollen wir doch einfach einmal hören – zuhören – mit aller Aufmerksamkeit, zu der jetzt wir fähig sind:

Habt keine Angst.

Ich bin es.

Fürchtet euch nicht!

Wetten, dass es sich anders rudert mit solchem Bescheid im Ohr – im Kopf – im Herzen!

Ja, so soll es sein – Amen.

Predigt von Pfr. H.K. Bruderer, gehalten am 25. August 2024