Der Pharisäer und der Zöllner

Predigt zu Lukas 18,9-14 am 13. November 2022 in der Kirche San Nazzaro

Pfarrer Konrad Bruderer

9Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: 10Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. 11Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. 12Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. 13Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! 14Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Lukas 18,9-14

Liebe Gemeinde, eine bekannte Geschichte ist das!

Bei bekannten Geschichten soll man vorsichtig sein: Es besteht halt immer die Gefahr, dass man denkt «Kenn ich – kann ich – mach ich»

… und so den Inhalt gar nicht mehr wahrnimmt, gar nicht mehr richtig zuhört!

Die Gefahr von uns heutigen Bibellesern sei, so hat es einer mit gescheitem Humor ausgedrückt, dass uns – ganz im Geheimen- folgendes «Gebet» einfallen könnte: «Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin… wie dieser Pharisäer!»

Diese Geschichte von Jesus Christus ist ein Gleichnis gegen das Eigen-lob («sich selbst erhöhen»); und Eigenlob, das stinkt bekanntlich… – und zwar eben: zum Himmel!

Da ist zunächst die Rede von Menschen, «die überzeugt waren, gerecht zu sein». An sie wendet sich Jesus mit seiner Gleichnisgeschichte. Wir stutzen und fragen uns: Was ist denn dagegen zu sagen, dass jemand überzeugt ist? Nun, überzeugt sein kann man eben auch vom Falschen – des Menschen Überzeugung allein ist keine Gewähr für gar nichts, vgl. die überzeugtesten aller Leute, die Eiferer jeglicher Schattierung!

Nun sind also die Leute, um die es hier geht, überzeugt, «fromm und gerecht zu sein». Wir stutzen noch einmal und fragen uns: Was ist denn dagegen zu sagen, dass jemand recht tut? Wäre es auf der Welt nicht sogar um einiges besser, wenn mehr Leute recht täten?!

Es liegt ganz offensichtlich weder daran, dass diese Leute eine Überzeugung haben (stellen Sie sich vor, wie das auf der Welt zu und her gehen würde, wenn niemand mehr eine Überzeugung hätte – alle Menschen bloss noch gleichgültig wären!) Jesus wäre gewiss der Letzte, der etwas gegen Leute mit einer Überzeugung hätte!

Noch liegt es an der Gerechtigkeit – wer könnte gegen die Gerechtigkeit sein? Jesus jedenfalls ganz sicher nicht!

Es liegt an der Kombination mit dem, was folgt. Und es folgt halt fast immer das, was jetzt folgt bei den total Überzeugten, bei den Eiferern – nämlich:

«… und verachteten die andern». Im griechischen Urtext kommt das noch deutlicher zum Ausdruck; wörtlich übersetzt steht da nämlich: «die anderen für nichts halten», also über die anderen Menschen, die nicht so «ticken» wie sie ein ver-nichtendes Urteil fällen.

Das Ganze exemplarisch – muster-gültig also – dargestellt an zwei Typen, dem Pharisäer und dem Zöllner:

Da ist der Pharisäer mit seinem Lobgesang auf sich selbst – Eigenlob… Der Pharisäer betet «bei sich selbst» – also ab-gesondert von den «gewöhnlich Sterblichen» (das Wort «Pharisäer» bedeutet «Abgesonderter»; Ab-sonderung aber ist der biblische Ausdruck für das, was wir im Deutschen «Sünde» nennen (das Wort hat zu tun mit ab-sondern). Der Pharisäer als Bild (Gleichnis) für den fanatischen Menschen.

Und da ist der Zöllner: Der betet auch, aber anders: «Gott, sei mir Sünder (da haben wir’s!!) gnädig!». Wir können aus dem griechischen Urtext auch so übersetzen: «Gott, versöhne dich mit mir vom rechten Weg abgekommenen Menschen». Der Zöllner als Bild (Gleichnis) für den profanen Menschen.

Jetzt habe ich zwei Fremdwörter gebraucht, um die beiden Menschentypen «Pharisäer» und «Zöllner» zu beschreiben: «Fanatisch» und «profan». Die beiden Wörter haben einen gemeinsamen Kern: «fan-«, also wie im Sport, dort einfach Neudeutsch ausgeprochen: «fän».

«Fan» – das Wort kommt aus dem Lateinischen «fanum». Bedeutung: «der Gottheit geweihter Ort, Tempel».

Fan-atisch und pro-fan also:

Ein Fanatiker setzt sich total ein mit dem, was er selber für seinen «heiligen» Eifer hält – und was bei anderen Menschen oft als rücksichtsloses Überfahren ihrer Überzeugungen ankommt.

Ein «profaner» Mensch hingegen, bewegt sich im gewöhnlichen Leben, in den «Niederungen des Alltags» und käme niemals auf die Idee, sich für etwas Besseres zu halten.

Warnung an den fanatischen Menschen – im Buch Prediger (steht also auch in der Bibel) Kapitel 7, Vers 16: Sei nicht übergerecht, und gib dich nicht gar zu weise. Warum willst du scheitern?

In den Worten von Jesus tönt das so:

Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Sich selbst erhöhen: sich ab-sondern.

«Das sind halt mehrbessere Leute…»

Sich selbst erniedrigen: sich nicht besser dünken als andere; sehen, dass ich halt auch ein «gewöhnlich sterblicher Sünder» bin, angewiesen auf Gottes Grossherzigkeit.

Wissen Sie, darum falten wir beim Gebet die Hände:

Um uns bewusst zu werden, dass jetzt nicht wir am Machen sind – der Mensch, der grosse Macher! – dass wir jetzt vielmehr Gott machen lassen wollen; dass wir «auf Empfang geschaltet» haben.

Was aber nicht heisst, dass wir nun einfach die Hände in den Schoss legen und … gar nichts tun.

Vieles können und sollen wir selber machen – und nicht etwa Gott die Schuld für Dinge in die Schuhe schieben, die Menschen angezettelt und eingebrockt haben:

«Warum lässt Gott das zu?!» ist ein heikler Satz – oft lassen es eben die Menschen zu: dass Kriege geführt werden; dass die einen ihr Essen fortwerfen und die anderen verhungern.

Jeremias Gotthelf man beachte den Namen – hat einmal geschrieben:

«Gott tut nur die Dinge, die der Mensch selber nicht tun kann

Was Jesus uns in seinem Gleichnis mit der Figur des Pharisäers vor Augen führt, ist eine Verwechslung grundsätzlicher Art:

Sich selber zugutehalten, was einem geschenkt worden ist: Begabung, gutes Umfeld, Gesundheit – bis hin zum «wohlverdienten Platz im Himmel».

Und auf der anderen Seite blind sein für die eigenen Fehler, die man zum einen Teil sehr wohl korrigieren könnte, wenn man nur wollte. Und für die wir zum anderen (wohl meist grösseren) Teil schlicht auf liebevolles Verständnis seitens Gottes und der Menschen angewiesen sind.

Wissen Sie: Der Mensch als Pharisäer betet gar nicht wirklich, er fängt an und hört auf mit ICH – er empfängt nicht, er sendet. «Offenbar zu dem Zweck, Gott auf dieses sein so herrlich gelungenes Werk gebührend aufmerksam zu machen» kommentiert Karl Barth dieses Scheingebet des Menschen, dem es letztlich um das Lob seiner selbst geht.

Der Mensch als Pharisäer und der Mensch als Zöllner, der fanatische und der profane Mensch:

Ich möchte mit einer kleinen Geschichte schliessen, einer jüdischen Legende.

Die geht so:

Als Israel in Ägypten weilte und die Aufseher sie mit Stöcken schlugen, betete Serach in Verzweiflung und Zorn: «O Herr, sieh an, das Unrecht, das wir leiden, sieh an die Bosheit unsrer Bedränger. Zerschmettere sie und schaffe Gerechtigkeit.»

Und als Israel trockenen Fusses durch das Schilfmeer zog, betete Joram, der Sohn Kenans: «Gelobt seist du, Herr, dass du uns als das Volk deines Eigentums hindurchrettest. Lass deine und unsre Feinde in der Wasserflut untergehen!»

Und als Israel trockenen Fusses durch das Meer gezogen, die Ägypter aber ertrunken waren, betete Pua, die Hebamme: «O Gott, breite dein Erbarmen aus über die vielen, die jetzt ertrunken sind. Wir sind ja nicht besser als sie. Erbarme dich unser.»

Wer von den dreien hat im Geist und in der Wahrheit angebetet?

Ich überlasse Ihnen die Antwort und sage bloss noch: Ja, so soll es sein – Amen.