«Was tust du für ein Zeichen?»

Predigt zu Johannes 6,30-36 im Gottesdienst vom 9. Oktober 2022 in der Kirche Bellinzona; Pfarrer Konrad Bruderer

Lesung Johannes 6,1-15.

Danach ging Jesus weg ans andre Ufer des Galiläischen Meeres, das auch See von Tiberias heißt. 2Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. 3Jesus aber ging hinauf auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. 4Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden. 5Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? 6Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte. 7Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder auch nur ein wenig bekomme. 8Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: 9Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das für so viele? 10Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. 11Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten. 12Als sie aber satt waren, spricht er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. 13Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren. 14Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll. 15Da Jesus nun merkte, dass sie kommen würden und ihn ergreifen, um ihn zum König zu machen, entwich er wieder auf den Berg, er allein.

Predigt zu Johannes 6,30-36.

Liebe Gemeinde

Mit 5 Broten und 2 Fischen hat Jesus also Tausende von Menschen gespeist. Wir haben es gehört vorhin in der Lesung aus dem Johannesevangelium. Wen wundert’s, dass die Leute ihm daraufhin nachgereist sind: Sie möchten herausfinden, was dieses Zeichen zu bedeuten hat, was dahinter steckt; sie sind nicht sicher, was sie von dem allem halten sollen; die kritischen Stimmen nehmen zu – wir hören davon weiter hinten in diesem 6. Kapitel des Johannes-Evangeliums in den Versen 30 bis 36:

Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben? Was wirkst du? Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht (Ps 78,24): »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.«  Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Aber ich habe euch gesagt: Ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht.

«Brot und Spiele» – das seien die wichtigsten Bedürfnisse der Leute:

So hat, etwas zynisch, schon vor 2’000 Jahren ein römischer Dichter geschrieben; sein lateinischer Ausdruck «Panem et Circenses» ist sprichwörtlich geblieben bis heute: «Panem et Circenses», einen vollen Bauch gegen den Hunger und ein Spektakel gegen die Langeweile…

Sind die Leute Jesus darum nachgelaufen?

Was tust du für ein Zeichen, auf dass wir sehen und dir glauben?

Die Leute wollen jetzt etwas sehen, nachdem Jesus ihnen etwas zu essen gegeben hat.

Sie wollen sehen, um glauben zu können.

Sie gehören also zu den Menschen, die nur glauben, was sie sehen. Eine Weltanschauung, die ganz offensichtlich vor zweitausend Jahren genau so verbreitet gewesen ist wie heute!

Ein Zeichen möchten die Leute sehen, etwas gezeigt bekommen, etwas zum Anschauen haben – schliesslich «sagt doch ein Bild mehr als tausend Worte» – oder?!

Ein Zeichen soll Jesus tun.

Etwas vorführen soll er.

Etwas fürs Auge.

Nachdem der Bauch zufriedengestellt ist.

Also doch: „Brot und Spiele?“

Ist es das, was die Religion den Menschen geben soll?

Hören wir nach dem Anfang unserer Geschichte jetzt ihren Schluss!

Jetzt redet Jesus:

Aber ich habe euch gesagt: Ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht.

Ihn sehen.

Was sieht man denn, wenn man Ihn sieht?

Einen jüngeren Mann vom Land?

Einen Wanderprediger?

Einen Freund und Helfer der armen Leute?

Einen Kritiker des Bestehenden?

Einen Friedensbewegten?

Einen gewaltlosen Herausforderer der Mächtigen?

Einen «Heiland mit der Dornenkrone»?

Einen «Christus Pantokrator» – Allherrscher im Strahlenkranz?

Einen Religionsstifter?

Was sieht man denn, wenn man Ihn sieht?

Man sieht einen Unseresgleichen – einen Menschen!

Nicht Brot und Spiele, dafür ein menschliches Gegenüber.

Ein Du.

Also kein Zeichen?

Doch!

Nur dass man es auch wirklich sehen muss!

Und dazu genügen zwei blosse Augen – geschweige denn die Linse einer Kamera! – noch nicht: Glauben, was man sieht, ist eindeutig zu wenig!

Diese Leute, die Jesus nachgelaufen sind, haben Ihn ja Alle mit ihren eigenen Augen gesehen – und immer wieder, jahrelang, wenn sie wollten.

Sie haben doch Alle das Brot gesehen und gegessen, das Er ihnen verteilte.

Und trotzdem sehen – unsere Jungen würden sagen «checken» – sie es nicht.

Warum eigentlich?

Weil sie falsch schauen, innerlich schielen sozusagen!

Sie sind so fixiert darauf, dass der Mensch vom Sehen zum Glauben kommen muss – dass sie’s, schlicht und ergreifend, nicht sehen!

Das wahre und eigentliche Wunder nämlich:

Dass Gott sich uns zeigt als einer Unseresgleichen!

Als Mensch.

Stattdessen: Brot und Spiele!

Die Erwartung des Aussergewöhnlichen. Des Niedagewesenen, des Niezuvorgesehenen, des ultimativen Spektakels.

Es wird ein solch spektakuläres Ereignis aus der Vergangenheit zitiert:

Unsre Väter haben Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht: »Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.«  

Da war etwas los; da konnte man Gott spüren; da konnte man dann glauben!

Sagen sie.

Und vergessen dabei, dass es in Tat und Wahrheit ja nicht so war:

Dass ihre Vorfahren (die «Väter») schon nach wenigen Tagen murrten über dieses blöde Manna, das sie da Tag für Tag schlucken mussten.

Dass sie sich lauthals zurückwünschten zu den «Fleischtöpfen Aegyptens».

Nein: Die Väter haben es damals trotz Sehens mit ihren eigenen Augen genau so wenig «gecheckt» wie ihre Nachkommen in dieser Geschichte hier!

Jesus geht darum gar nicht ein auf diese Verklärung der Vergangenheit (auch das offensichtlich nichts Neues, dass «früher alles besser» gewesen sein soll; was schon damals, vor 2’000 Jahren, nicht stimmte, geschweige denn heute…); Er erzählt, wie’s wirklich war, wie’s wirklich ist:

Da sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt (man beachte den Wechsel der Zeitform!) euch das wahre Brot vom Himmel. Denn dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. 

So also ist es wirklich: was wirklich nährt, kommt vom Himmel herab; stammt aus der Welt Gottes.

Und die ist bekanntlich unsichtbar (auch das war damals nicht anders als heute).

Unsichtbar, aber wirksam.

Denn – und das, denke ich, ist einer der Punkte, auf den uns diese Geschichte hinweisen, für den sie ein Zeichen sein will – ein Hörzeichen, weil man eben dem Augenscheinlichen letztlich doch nicht so ganz trauen kann:

Dass es auf die Wirksamkeit ankommt. – «Wirklich ist, was wirkt», sagt Carl Gustav Jung.

Was tust du für ein Zeichen?

Wollen die Leute von Jesus wissen – und liegen damit gar nicht so falsch; sie ziehen nur die falschen Schlüsse.

Jesus nimmt ihre Frage auf und zeigt ihnen, wohin sie schauen müssen, wenn es ihnen wirklich  – und das heisst eben: wirksam; so, dass es etwas be-wirkt!) – um den Glauben geht.

Auf das, was von Gott her kommt, müssen wir schauen:

Dies ist das Brot Gottes, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben, sagt Jesus.

Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.

Noch ein Missverständnis; noch einmal «Brot und Spiele»;

die Verwechslung des Himmelreichs mit dem Schlaraffenland:

Nie mehr «im Schweisse deines Angesichts»; nie mehr krampfen fürs tägliche Brot!

Stattdessen:

Immer satt; immer zufrieden; immer Party – die reine Spassgesellschaft!

Jesus aber sprach zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. 

Statt «Brot und Spiele» – die Begegnung mit einem Du.

Eine Beziehung also.

Im Glauben geht es um Beziehung.

Der Glaube ist eine Beziehung – eine lebendige Verbindung zwischen uns und Jesus Christus, wo eine isch wie mier, en Mensch – und gliichziitig eine wie Gott. So stellt er diese Verbindung leibhaftig dar, anders gesagt:

Das Zeichen – ist Er!

Was uns nämlich wirklich – also wirksam – nährt, ist die Beziehung.

Der Mensch ist ein Beziehungswesen – Beziehungslosigkeit ist der Tod.

Beziehung, man könnte auch sagen «Verbundenheit»:

  • Verbundenheit mit Gott, dem Ursprung und dem Ziel von Allem. Darum feiern wir Gottesdienst alle Wochen einmal: Als Zeichen (!) für unsere Verbundenheit mit Gott, für Seine Verbundenheit mit uns….
  • Verbundenheit auch miteinander. Darum feiern wir den Gottesdienst nicht allein, Jeder und Jede in ihrem Stübchen, sondern gemeinsam hier im Gotteshaus.
  • Verbundenheit schliesslich auch mit der Erde, die uns umgibt, auf der wir wohnen, und die uns nährt. Darum feiern wir heute den Erntedank-Gottesdienst.

Was uns wirklich, was uns wirksam nährt, ist die Beziehung.

Darum ist es absolut lebenserhaltend, wenn wir in Verbindung bleiben!

So lebenserhaltend wie es ist, wenn wir die Früchte der Erde essen, uns also leibhaftig mit ihnen verbinden, sie zu einem Teil von uns selber machen…

So lebenserhaltend ist es, wenn wir die Gottesverbindung – die Jesus Christus für uns aufgebaut hat – behalten und pflegen (am besten so wie beim Essen, nämlich regelmässig).

Das wirkt!

Wie es diese kleine Geschichte zeigt, die ich Ihnen zum Schluss noch erzählen möchte:

Da macht der Pfarrer am Montagmorgen einen Spaziergang durchs Dorf. In einem Gemüsegarten ist die Bäuerin im Giessen. Sie kommen ins Gespräch.

«Gut haben Sie gepredigt gestern in der Kirche, Herr Pfarrer!», sagt sie.

«Soso – ja danke! Aber sagen Sie, was habe ich denn gesagt, das Ihnen so gut gefallen hat?» antwortet er.

«Ach, das weiss ich jetzt nicht mehr!»

«Ja, wie können Sie dann sagen, dass es gut war?»

Die Bäuerin ist unterdessen mit ihrer Giesskanne bei den Salatköpfen angekommen.

«Schauen Sie Herr Pfarrer», sagt sie, «ich glaube, das ist so wie beim Giessen: Ich gebe jetzt diesen Salatköpfen ein bisschen Wasser – so… Und jetzt ist es schon versickert. Man sieht das Wasser nicht mehr – aber es nährt meine Salatköpfe trotzdem und sorgt dafür, dass sie wachsen und gedeihen!»

Ja, so soll es sein – Amen.