Ein neues Lied

Meditation zum 7. Juni, von Pfarrerin Brigitte Schäfer

Heute hätte das traditionelle «Cenerifest» stattgefunden, unser Fest der Chöre, zwar nicht auf dem Ceneri, sondern an einem neuen Ort. Aber nun ist es wie Vieles abgesagt. Singen ist zur Zeit nicht empfohlen. Die Chöre sollen noch nicht üben, und auch in den Gottesdiensten, die ja nächste Woche wieder beginnen, werden wir uns etwas einfallen lassen müssen. Auf das Singen und die Lieder im Gottesdienst ganz zu verzichten, kann ich mir nicht vorstellen. Lieder spielten in der Reformation eine grosse Rolle. Und bereits aus dem Alten Testament erfahren wir, dass die Menschen ihre Hoffnung und ihre Freude mit Liedern ausgedrückt haben.

„Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder!“

So ruft der Psalmdichter zu einem neuen Lied auf – warum denn das? Historisch gesehen war der Anlass die Befreiung des Volkes Israel aus der Gefangenschaft in Babylonien vor etwa 2500 Jahren. Dieser Psalm 98 ist also ein uraltes Gebet, das in dem Moment, wo sich das schwierige Schicksal beginnt, zum Guten zu wenden, zu einem neuen Lied aufruft. Dieses neue Lied soll den Menschen helfen, nach vorne zu blicken, das alte Klagelied über die Verbannung zurück zu lassen und mit Vertrauen und Dankbarkeit in die Zukunft zu starten. Das neue Lied zeigt eine Änderung der Blickrichtung an und eröffnet damit neue Perspektiven.

Wenn der Psalmdichter hier von einem neuen Lied spricht, so meint er nicht nur eine unbekannte Melodie und einen ungewohnten Rhythmus, sondern eine neue Lebensmelodie, die ich vielleicht zunächst nur leise in meinem Inneren höre, oder einen neuen Lebensrhythmus, der mir vielleicht wieder mehr Schwung gibt – nicht unbedingt, weil er schneller ist, sondern vielleicht auch einfach darum, weil er die Pausen am richtigen Ort hat.

Damals als dieser Psalm entstand, hat beim Volk Israel eine neue Epoche begonnen und darum war ein neues Lied gefragt, das helfen sollte, nach vorne zu blicken. Dieses neue Lied soll ein Lied der Hoffnung sein, geprägt von den guten Erfahrungen mit Gott „…denn er tut Wunder.“ So begründet der Psalmdichter das neue Lied und die damit verbundene Hoffnung. Viele hatten damals vor 2500 Jahren im Exil die Hoffnung auf Befreiung aufgegeben. Als es plötzlich hiess: „Jetzt könnt ihr heimkehren“, empfanden sie es eben als ein Wunder. Als sie dann zuhause ankamen, haben sie schon gemerkt, dass die Arbeit jetzt erst anfing, dass ja alles zuerst wieder aufgebaut werden musste. Gerade da war wohl das neue Lied wichtig, um nicht wieder in die alten Muster, die alten Klagen oder Streitereien hineinzugeraten. Die Wunder Gottes, von denen die Bibel redet, sind ja nicht die Lösungen aller Probleme. Sonst würden wir heute in einer ganz anderen Welt leben. Es sind die Umbrüche in unseren Leben, dort, wo der Lebensweg sozusagen eine Kurve nimmt und sich eine neue Landschaft vor uns auftut. Manchmal sind das aber gerade die Stellen, wo wir etwas eher zögern, etwas skeptisch sind. Was kommt jetzt da auf mich zu?

Gerade an diesen Wendepunkten des Lebens ist es gut, einen Moment innezuhalten und sich selbst zu fragen: Welches ist meine Lebensmelodie? Auf welchen Ton bin ich gestimmt? Brauche ich ein neues Lied, so dass ich mit Hoffnung und Vertrauen in meinen nächsten Lebensabschnitt gehen kann?

Denn Gott tut Wunder. Da muss ich gar nicht nach etwas Grossartigem oder Spektakulären Ausschau halten in meinem Leben. Wenn ich merke, dass Gott bei mir ist auf meinem Lebensweg, dass er mich begleitet und behütet, ist das schon Wunder genug. Und dann erklingt vielleicht schon in meinem Innern das neue Lied von Hoffnung, Dankbarkeit und Vertrauen.

Ein neues Lied, eine neue Lebensmelodie, das wünsche ich uns allen, um zuversichtlich weiterzugehen auf unserem Lebensweg.

 Möge euch Gott behüten!

Liebe Grüsse

Brigitte