«Ihr werdet aber Kraft empfangen…»

Eine Auffahrtsmeditation von Pfarrerin Brigitte Schäfer

Auffahrt – was feiern wir da eigentlich?

Das Markusevangelium endet mit folgenden Sätzen: «Nachdem nun der Herr, Jesus, zu ihnen geredet hatte, wurde er in den Himmel emporgehoben und setzte sich zur Rechten Gottes. Sie aber zogen aus und verkündigten überall. Und der Herr wirkte mit und bekräftigte das Wort durch die Zeichen, die dabei geschahen.» Jesus ist weg, aber er wirkt mit bei dem, was die Jüngerinnen und Jünger auf der Welt tun.

Etwas ausführlicher ist Lukas. In der zweitletzten Szene seines Evangeliums sind die Jüngerinnen und Jünger in einem Haus in Jerusalem versammelt. Und dann heisst es: «Und er führte sie hinaus bis in die Nähe von Betanien. Und er hob die Hände und segnete sie. Und es geschah, während er sie segnete, dass er von ihnen schied und in den Himmel emporgehoben wurde. Sie aber fielen vor ihm nieder und kehrten dann mit grosser Freude nach Jerusalem zurück. Und sie waren allezeit im Tempel und priesen Gott.» Es ist die einzige Stelle, in der Jesus seine Jüngerinnen und Jünger segnet. Das macht er sonst nur einmal mit den Kindern. Auch damals, wie heute noch, bildet der Segen das Ende eines Gottesdienstes. Das Lukasevangelium schliesst also wie ein Gottesdienst.

Die Apostelgeschichte, die sozusagen den zweiten Band des Lukasevangeliums bildet, setzt noch einmal mit der Erzählung der Auffahrt ein (Apg 1,9-11): «Als er dies gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken. Und während sie ihm unverwandt nachschauten, wie er in den Himmel auffuhr, da standen auf einmal zwei Männer in weissen Kleidern bei ihnen, die sagten: Ihr Leute aus Galiläa, was steht ihr da und schaut hinauf zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird auf dieselbe Weise wiederkommen, wie ihr ihn in den Himmel habt auffahren sehen.»

Auffahrt – Ein Bild vom Daheimsein bei Gott

Bei Matthäus und Johannes ist von einer «Auffahrt» nicht die Rede. Das Evangelium, die gute Botschaft von Jesus, dem Christus, lässt sich offenbar auch ohne «Auffahrt» erzählen. Ich finde das für unsere heutige Zeit eine wichtige Erkenntnis, weil es viele Menschen gibt, die mit einer solchen Geschichte nicht wirklich etwas anfangen können. Falls also jemand fragt: Muss ich an die Auffahrt oder Himmelfahrt Jesu glauben, um Christin oder Christ zu sein, kann die Antwort getrost lauten: Nein. Die Geschichte von der Himmelfahrt Jesu war in der damaligen Zeit eine Möglichkeit, etwas auszusagen über diese Übergangszeit vom begrenzten Wirken Jesu als Mensch auf der Welt zum fortdauernden Wirken des Christus als Kraft Gottes in der Welt.

Jesus ist als Mensch gestorben. Er ist nicht mehr so da, wie vor seinem Tod. Aber er ist noch da, wahrnehmbar, spürbar – aber anders. Die Menschen damals, die vor seinem Tod mit ihm zusammen gewesen waren, mussten das erst einmal lernen. Damals in der antiken Welt, dort wo Menschen mit solchen Himmelfahrtsgeschichten vertraut waren, konnten die Evangelisten das, was sie erklären wollten, mit Hilfe einer solchen Geschichte andeuten. Ich sage mit Absicht «andeuten», denn wie das genau vor sich gegangen sein soll, erfahren wir ja nicht. Offenbar soll es uns nicht beschäftigen.

Eine Kraft ist uns versprochen

Nun geht aber der Blick in dieser Übergangszeit nach dem Tod Jesu nicht nur zum Ende eines menschlichen Lebens, sondern zum Ende der Zeiten, zum Ende der Welt. Wird es denn immer so weitergehen mit der Welt? Oder nimmt es ein Ende? Und wenn ja, wann denn? Und was für eins? Solche Fragen haben die Menschen immer schon beschäftigt, mehr oder weniger. Zur Zeit Jesu eher mehr. Und heute ja auch wieder. Wir beobachten viele Entwicklungen, die uns zu denken geben und die ein Ausmass annehmen, das unseren Handlungsspielraum weit übersteigt. Nicht nur die ganz aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme, die als Konsequenzen der Pandemie-Massnahmen auf uns zukommen und deren Ausmass wir erst allmählich realisieren, sondern auch andere, die wir schon länger kennen: Die Vergiftung der Natur; die klimatischen Veränderungen; unsere immer neuen technischen Möglichkeiten, bisher einfach Gegebenes zu manipulieren; unsere anhaltende Unfähigkeit, Konflikte ohne Kriege zu lösen und unsere Güter so zu verteilen, dass alle Menschen leben können. Auch wir fragen: Kann es denn so weitergehen? Kann denn jemand diesen Lauf aufhalten?

 «Die, welche damals beisammen waren, fragten Jesus: Herr, wirst du noch in dieser Zeit deine Herrschaft wieder aufrichten?» Das ist die letzte Frage, die die Jüngerinnen und Jünger an den auferstandenen Jesus stellen. Er beantwortet sie nicht, aber gibt ihnen ein Versprechen, das immer noch gilt, auch für uns, die wir als Christinnen und Christen in der gegenwärtigen Welt leben: «Ihr werdet aber Kraft empfangen…»

Vertrauen wir darauf, dass wir die nötige Kraft empfangen, um zuversichtlich und umsichtig unsere Schritte in die Zukunft zu tun! Wir tun sie mit Gottes Segen.