Heilsame Berührungen

«Nicht ins Gesicht fassen!» – das hören und lesen wir in diesen Tagen oft, jetzt wo wir wieder mehr an Orte kommen, wo auch andere Menschen sind. Eine Vorsichtsmassnahme, damit wir uns nicht mit eventuellen Viren anstecken, die sich an den Fingern und Händen ablagern und so den Weg zu den empfindlichen Schleimhäuten finden.

Anfassen, tasten, mit Händen berühren und berührt werden, – wie sehr uns das fehlen kann, erfahren wir zur Zeit mehr als sonst. Wir Menschen sind ja eigentlich «Tastwesen», das sehen wir bei kleinen Kindern, die die Welt mit Fingern und Mund erkunden. Millionen von «tastsensiblen Rezeptoren» haben wir in unserem Körper, etwa in Haut, Muskeln, Sehnen und Haaren. Von Kopf bis Fuss sind wir von einem Netz von Sensoren durchzogen. Sie sind vielleicht auch etwas vernachlässigt worden in den letzten Wochen. Ohnehin schon hat man festgestellt, dass die Empfindungsfähigkeit des Tastsinns gerade junger Menschen in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat, weil wir immer reizärmer leben, da wir uns immer öfter in Räumen aufhalten, am Computer sitzen und weniger draussen in der Natur sind.

Also: nicht ins Gesicht fassen! – und schon kratze ich mich wieder an der Nase oder stütze beim Nachdenken das Kinn in die Hand. Wieso machen wir das eigentlich? Und warum ist es so schwierig für uns, das nicht zu tun? Ist es nur eine dumme Gewohnheit oder steckt ein Sinn darin?

Wir Menschen fassen uns unbewusst etwa vierhundert bis achthundert Mal am Tag ins Gesicht, habe ich gelesen. Forscher haben herausgefunden, dass wir dadurch unsere Hirnströme ankurbeln können. Wir frischen so unser Kurzzeitgedächtnis auf und können uns ausserdem mit diesen Gesten wunderbar selber beruhigen. Schon ein Fötus im Mutterleib reagiert in dieser Weise auf Stress. Offenbar hilft die Selbstberührung, uns in kritischen Lebenssituationen in Balance zu halten. Und gerad jetzt, wo wir das nötig hätten, sollten wir nicht – oder jedenfalls erst, wenn wir wieder die Hände gewaschen haben.

Dass wir Menschen Berührungen brauchen, um selber gesund zu bleiben, wird uns gegenwärtig wieder mehr bewusst, weil wir lernen, sorgsamer damit umzugehen und die Berührungen, die möglich sind, mehr zu schätzen. Jesus hat geheilt, indem er Menschen berührt hat. Die Evangelien berichten, dass viele gemerkt hätten, wie gut diese Berührungen taten: «Alles Volk wollte ihn berühren, denn eine Kraft ging von ihm aus, die alle heilte», erzählt Lukas, und Markus (10, 13-16) schreibt: «Man brachte Kinder zu ihm, damit er sie berühre. … und er schliesst sie in die Arme und legt ihnen die Hände auf und segnet sie.»

Wenn wir beim Beten die Hände falten oder ineinander legen, können wir an die heilenden und segnenden Berührungen Jesu denken. Auch wenn unsere eigenen Hände einander berühren, kann das eine beruhigende Wirkung haben. Mir hat eine Freundin erklärt, sie lege sich am Abend immer mit gefalteten Händen hin. «Weisst du, das gib wie einen Kurzschluss, der die unaufhörlich kreisenden Gedanken unterbricht, dann komme ich zur Ruhe und kann zufrieden einschlafen.» Ich werde es einmal ausprobieren. Und vielleicht passt das folgende Abendgebet dazu. Es ist etwa 1600 Jahre alt und stammt von Aurelius Augustinus.

Gott, behüte alle,
die heute Nacht wach liegen, weinen oder über andere wachen
und lass deine Engel die beschützen, die schlafen.
Tröste die Kranken,

gib Ruhe den Erschöpften,

segne die Sterbenden

und sei Schutz den Glücklichen

um deiner Liebe willen.

Amen

Gott möge euch alle behüten!

Liebe Grüsse

Brigitte