Lernen aus der Krise?

Können wir aus dieser Krise etwas lernen?, so wird jetzt an vielen Orten gefragt. Und wenn ja, was? Werden wir in Zukunft gerechter und solidarischer sein? Oder eher egoistischer und misstrauischer?

Die Bibel berichtet von einem Menschen, der praktisch alles durchgemacht hat, was wir gegenwärtig fürchten: Hiob. Zuerst erreichen ihn die sprichwörtlichen Hiobsbotschaften, die ihm anzeigen, er habe alles verloren, seine ganze Existenz und seine ganze Zukunft. Dann packt ihn auch noch die Krankheit und zwingt ihn in die Isolation. Selbst seine Frau wendet sich voller Ekel von ihm ab. Nur seine Freunde halten zu ihm. Sie besuchen ihn, auch wenn sie merken, dass sie eigentlich nichts für ihn tun können. «Sie setzten sich zu ihm auf die Erde, sieben Tage und sieben Nächte, und keiner sagte ein Wort zu ihm, denn sie sahen, dass der Schmerz sehr gross war» (2,13)

Das Buch Hiob im Alten Testament erzählt eine äusserst dramatische Geschichte, die jedoch überraschend zu einem Happyend führt. Aber diese Geschichte bildet eigentlich nur den erzählerischen Rahmen zu langen Diskussionen darüber, wer letztlich Schuld sei an solchen Krisen.

Können wir Menschen mit unserem Wohlverhalten, mit striktem Einhalten der Regeln, nicht doch solche Katastrophen verhindern oder wenigstens vermindern? Und welche Rolle hat in so einer Situation eigentlich Gott als Schöpfer der ganzen Welt, also auch der Krankheiten?

Das sind Fragen, die uns gegenwärtig auch beschäftigen. Staaten schieben sich die Schuld an dem Virus gegenseitig in die Schuhe, Bürger beschuldigen Regierungen und umgekehrt und manche Leute haben noch ganz andere Vermutungen, wer wirklich Schuld sei.

Hiob macht es sich nicht leicht mit diesen Fragen. Am Anfang versucht er noch, ganz weise und abgeklärt, alles aus Gottes Hand anzunehmen: «Der HERR hat gegeben, der HERR hat genommen, der Name des HERRN sei gepriesen»  (1,21). Und zu seiner Frau sagt er fast trotzig: «Das Gute nehmen wir an von Gott, und das Böse sollten wir nicht annehmen?» (1,10). Gleich darauf jedoch packt ihn das Elend und die Verzweiflung: «Getilgt sei der Tag, da ich geboren wurde, … kein Lichtstrahl soll auf ihn fallen.» (3,3-4)

Hiob fühlt sich von Gott bestraft: «Meinen Weg hat er versperrt, ich kann nicht weiter, und Finsternis legt er auf meine Pfade. … Er behandelt mich wie seinen Feind» (19,8-11)

Er fühlt sich im Stich gelassen: «Ach, hätte ich einen, der mich anhört! … Der Allmächtige gebe mir Antwort!» (31,35)

Hiob klagt und klagt, doch dann wendet sich seine Stimmung. Auf einmal kommt hinter der Klage eine Zuversicht, ein Gottvertrauen zum Vorschein.

Die Freunde, die ihm das Klagen gegen Gott verwehren wollen, haben unrecht: Nicht das Klagen verbaut den Weg zu neuem Vertrauen und neuer Zuversicht, sondern das Verbieten der Klage. Wer Zorn und Enttäuschung gegenüber Gott hinunterschluckt, kann sich in einer Krisensituation eigentlich nur von ihm abwenden.

«Ich aber weiss: Mein Löser lebt, und zuletzt wird er sich über dem Staub erheben … und meine Augen werden ihn sehen.» (19,25-27) Der «Löser» ist nach dem alttestamentlichen Familienrecht ein Verwandter, der einem in Armut geratenen Familienmitglied helfen muss. Wenn jemand Hab und Gut verpfänden oder sogar seine Arbeitskraft als Sklave verkaufen muss, um nicht zu verhungern, so soll ein Verwandter als «Löser» einspringen und das Verlorene zurückkaufen. Im Oratorium «Der Messias» von Georg Friedrich Händel finden wir diesen Satz von Hiob auf Christus bezogen in der wunderschönen Arie: «Ich weiss, dass mein Erlöser lebt …». Dort wird er ergänzt mit einem Vers aus dem 1.Korintherbrief des Apostels Paulus (15,20): «Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten …»

Ja, was lernt Hiob aus der Krise? Vielleicht das: Wo Gott am fernsten scheint, da ist er am nächsten.

Hat das denn konkrete Auswirkungen in seinem weiteren Leben, das Gott ihm schenkt? Ist es ein «nachhaltiges Lernen», wie wir heute fragen würden? Hiob hat in seinen Klagen von Gott Gerechtigkeit gefordert. Und er hat gemerkt, dass er als Familienoberhaupt dann selber auch gerecht sein muss, etwa beim Testament schreiben, selbst wenn er damit gegen die damaligen patriarchalen Regeln verstösst: «Es fanden sich aber im ganzen Land keine Frauen, die so schön waren wie die Töchter Hiobs, und ihr Vater gab ihnen Erbbesitz wie ihren Brüdern.»

Und zuletzt folgt das Happyend: «Hiob lebte danach noch hundertvierzig Jahre, und er sah seine Kinder und Enkel, vier Generationen. Und Hiob starb alt und lebenssatt.» (42,15-17)

Gott möge euch alle behüten!

Liebe Grüsse

Brigitte