Die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz

Eine Karfreitagsmeditation von Pfarrerin Brigitte Schäfer

Oft sind es die letzten Gesten und die letzten Worte eines Menschen, die sich besonders tief in die Erinnerung der Zurückbleibenden einprägen.

Von vielen berühmten Persönlichkeiten werden uns letzte Worte überliefert. Sicher stimmen sie nicht immer im historischen Sinn, aber sie geben ganz konzentriert etwas vom Wesen oder vom zentralen Anliegen eines Menschen wieder.

Von Jesus werden uns in den vier Evangelien verschiedene letzte Worte überliefert. Im Markus- und Matthäusevangelium stirbt Jesus mit einem Aufschrei am Kreuz. Im Lukas- und im Johannesevangelium sind es mehr versöhnliche Worte.

Seit der Barockzeit hat sich eine Andachtsform für die Mittagsstunden des Karfreitags entwickelt, in der die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz in eine Reihenfolge gebracht und meditiert werden. Auch die Musik hat dieses Thema aufgegriffen. Am bekanntesten ist wohl das Streichquartett von Josef Haydn.

Die letzten Worte Jesu haben natürlich in den Passionsgeschichten der Evangelien je einen ganz bestimmten Zusammenhang. Wir können sie aber auch als einzelne Weisheitsworte bedenken und uns überlegen, was sie für unser Leben heute bedeuten können.

„Vater, in Deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46)

Jesus betet diesen Satz am Kreuz als gläubiger Jude. Es ist sein tägliches Abendgebet, einem Psalmvers entnommen, das er nun auch am Abend seines Lebens spricht.

Wir finden darin die jüdische Vorstellung, dass wir am Abend unseren Lebensgeist in Gottes Hände übergeben, und hoffen, dass Gott uns am nächsten Morgen den Lebensgeist wieder zurückgibt und uns aufwachen lässt.
Eine solche Vorstellung, ein solcher Gedanke am Abend kann uns helfen, loszulassen und dann jeden Tag unseres Lebens bewusst als ein Geschenk anzunehmen. Wie ausatmen und einatmen.

In der Bibel wird an einigen Stellen von Gottes Händen gesprochen, in die wir uns bergen können oder die uns halten und tragen. Gott hält uns und trägt uns, gerade auch in den Momenten, in denen um uns oder in uns einiges in Bewegung ist oder in denen der Boden unter unseren Füssen wankt. Im Psalm, den Jesus betet (31,6) heisst es: In deine Hand befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöst, du treuer Gott.

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun…“ (Lk 23,34)

Das Leben geht nie glatt. In jedem Leben gibt es Auseinandersetzungen. Manchmal fallen böse Worte. Es gibt Menschen, die mich verletzen, die mir ständig auf die Nerven gehen, mit denen ich im Unreinen bin.

In jedem Leben gibt es das: Brüche, Verwundungen, Narben, die bleiben.
Und es gibt auch die Erfahrung, dass wir nur dann zufrieden und ruhig leben können, wenn wir verzeihen; wenn wir nicht bei jeder Gelegenheit die alten Geschichten hervorkramen.

Wenn wir dann einmal auch das, was wir als Unrecht empfunden haben, ruhen lassen können. Und wenn wir uns bewusst sind, dass andere Menschen auch uns manches zu vergeben haben.
Es ist hohe Lebenskunst, dann andere sogar ins Gebet einzuschliessen. Denn sie wissen nicht, was sie tun…“ sagt Jesus. Aber ich weiss ja auch nicht, warum mir jemand etwas antut.

Im Johannesevangelium stehen unter dem Kreuz Maria, die Mutter Jesu und Johannes, der Jünger, den Jesus lieb hatte. Zu ihnen sagt er:

„Frau, da ist dein Sohn – Da ist deine Mutter“ (Joh 19,27)

Wie oft heisst es an Sterbebetten: „Passt mir auf die Mutter auf!“ oder: „Kümmert euch um unser Sorgenkind!“

Sterbende sehen das besonders deutlich: Leben geht nur gut, wenn die Generationen sich die Hände reichen, wenn sich zuerst die Eltern um die Kinder kümmern – und später die gross gewordenen Kinder ihre alt gewordenen Eltern nicht vergessen. Wenn die Stärkeren sich den Schwächeren zuwenden und sie ein Stück weit mittragen.

Dieser Satz ist auch ein Hinweis darauf, dass Christsein bedeutet, füreinander da zu sein. Eine christliche Gemeinde, auch unsere hier, ist ja ein Ort, an dem Menschen unterschiedlichster Herkunft einander begegnen.
In einer Gemeinde haben wir uns nur bedingt einander ausgesucht. Wir sind zueinander gestellt, wie Johannes und Maria. Dies ist manchmal sehr schön und bereichernd, manchmal aber auch herausfordernd.
Wo wir zusammen Gemeinde sind, da schafft Gott eine neue und versöhnte Gemeinschaft.

Mit Jesus werden noch zwei andere Männer gekreuzigt. Zum einen sagt Jesus:

„Amen ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43)

Es gibt Lebensphasen, in denen man meint, es gehe alles schief. Alles, worum ich mich bemühe – nichts fruchtet. Wie gut tut es dann, ein Wort der Hoffnung zu hören, jemanden zu haben, der mich aus dem Loch herausholt.

Es ist vielleicht schon etwas dran an dem Spruch Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selber geben. Es muss dir ein anderer sagen.

Wir wissen nicht, wie unser Sterben wird, aber wir können hoffen, dass uns dann einmal so ein Hoffnungswort im Ohr klingt: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein!“

„Mich dürstet“ (Joh 19,28)

Solange ich Hunger und Durst habe, lebe ich. Durst weist ja eigentlich auf Lebenslust hin, Sehnsucht auch.

Wie schön ist es, wenn man auch im Alter noch sagen kann: Ich bin gespannt, was noch alles in meinem Leben geschehen wird, was noch alles auf mich zukommt. Ich möchte es bis zum letzten Augenblick ausschöpfen.

Mir kommt hier auch die Stelle aus dem Johannesevangelium (Kapitel 4) in den Sinn, das Gespräch mit der Frau am Brunnen, wo Jesus sagt: Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, der wird in Ewigkeit nicht mehr Durst haben, nein, das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben sprudelt.
Er weist darauf hin, dass alle unsere Sehnsüchte bei Gott gestillt werden.
Aber jetzt, am Kreuz, ist er noch ganz Mensch. „Mich dürstet.“

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk 15,34)

Jesus stirbt nicht als Held am Kreuz. Er stirbt mit einer himmelsschreienden Klage. Er wendet sich an Gott mit den Worten des Psalms 22.
Auch das gehört zum Leben: Wir müssen nicht alles schweigend und duldend hinnehmen. Wir können Schmerz und Enttäuschung hinausschreien – vor Gott.

Manchmal denken wir vielleicht: Ich darf doch Gott keine Vorwürfe machen, ihn nicht anklagen, oder wie man früher sagte: mit Gott hadern. Bei Jesus sehen wir: Wer so seine Not vor Gott zur Sprache bringt, der hadert nicht mit ihm, sondern wirft im Schmerz und in der Verzweiflung seinen letzten Rettungsanker auf ihn.

Mit dieser Erfahrung des Leidens kommt Jesus allen leidenden Menschen nahe. Es ist tröstlich zu wissen, dass Jesus selbst die tiefsten Tiefen menschlichen Leidens kennt und erlebt hat. Es ist tröstlich zu hören, dass auch Jesus sich von Gott verlassen gefühlt hat. Dass auch er geklagt hat. Jesus ist bei uns in unseren Fragen, in unserem Leiden, in unseren Dunkelheiten. Er versteht und hört uns.

„Es ist vollbracht“ (Joh 19,30)

Wir kennen das Gefühl: Ich bin mit meiner Arbeit heute fertig geworden. Ich habe etwas abgeschlossen, wofür ich viel Zeit, Kraft und Lebensenergie investiert habe. Ich habe etwas erreicht, was ich mir lange als Ziel gesteckt habe.

Doch vielleicht kennen wir auch das Gefühl, wenn wir Unvollendetes aus der Hand geben müssen. Wir müssen auch lernen, ruhen zu lassen, wozu wir keine Kraft und Energie mehr haben. Denn am Ende werden wir unser Leben, das nie ganz vollendet sein wird, aus der Hand geben und darauf vertrauen, dass Gott es voll und rund macht.

Amen